Nach all dem Anti-Hype der vergangenen Tage ist das mal eine gute Woche für den Markt der virtuellen Welten. Die meisten guten Nachrichten kommen aus San Jose, von der Virtual Worlds Fall Konferenz (die ich aufgrund drängender Deadlines leider verpasst habe). Die PR-seitig wichtigste Nachricht ist vermutlich die Vereinbarung von IBM und Linden Lab gemeinsam an der Standardisierung virtueller Welten zu arbeiten. Konkret sllen die folgenden Themen angegangen werden:
- Universal Avatars
- Security-rich Transactions
- Platform stability
- Integration with existing Web and business processes
- Open standards for interoperability with the current Web
Werden wir also bald Stargates zwischen den rivalisierenden virtuellen Welten haben? Ich habe da so meine Zweifel. Ich möchte hier auf die (nicht vorhandenen Details) dieser Vereinbarung nicht gross eingehen. Fakten und Spekulationen gibt es bei IBM, Virtual Worlds News, Linden Lab's company blog, Reuters, eigthbar und in Deutschland bei Robert Basic, bei ITW, bei SLTalk und auf dem Web3D-Blog. Was mich mehr interesssiert, sind die Auswirkungen, die das kurz- und langfristig für den Markt haben wird.
IBMs sehr aktives Involvement in diesem Markt wird für viele (potentielle) Anwender auf der Industrieseite sicherlich als eine Art Ritterschlag empfunden werden. Und die Vereinbarung mit Linden Lab wird Second Lifes Position als eine der führenden Plattformen hier sicher nicht schwächen. IBM sendet starke Signale aus, dass Virtuelle Welten ernstes Business sind – und das nicht nur im Entertainment-Bereich. Zugleich wird Second Life als Marktführer und mögliche Speerspitze von Standardisierungsbemühungen anerkannt. Wer hätte das noch vor einem Jahr gedacht?
Ich würde nicht darauf warten, dass ich mit meinem Level75 Nachtelfen aus World of Warcraft morgen nach Second Life wechseln, meine Ausrüstung mitbringen und mein WoW-Gold in L$ wechseln kann. Das wird sicher mehr als 2, 3 Jahre dauern und vielleicht nie so funktionieren, wie sich einige das vorstellen. ...
Technorati Tags: 3d web, second life, virtual worlds, web 3.d
Auf eightbar, schreibt Roo Reynolds writes zum Beispiel:
[...] because Bobbie Johnson at the Guardian Unlimited rather hits the nail on the head:
“I don’t really want my avatar to move between a series of closed virtual environments: I want a single, linked virtual environment that I can move around freely.”
And that’s exactly where we need to take this goal of interoperability and standards in virtual worlds.
Ich bin mir nicht sicher, dass "wir" (?) Virtuelle Welten dorthin bringen müssen. Ich bin mir nicht sicher, ob das passieren wird, und wenn es passieren würde, ob es das ist, was die meisten Anwender wirklich wollen. Zumindest hängt das stark davon ab, was genau mit "single, linked virtual environment" gemeint ist. Was sicher praktisch wäre, ist ein Weg, von Welt zu Welt (und ins Web) zu gehen, ohne mich immer wieder neu einloggen zu müssen. Diese Welten werden meiner Meinung nach aber unterschiedlich sein, manchmal sehr unterschiedlich. Unter diese Unterschiede werden letztendlich limitieren, was Initiatven wie "Universal Avatar" vollbringen können.
Bobbie's und Roo's Ideen basieren natürlich auf dem heutigen Worldwide Web, das von vielen als eine homogene Umgebung wahrgenommen wird. Ist es aber nicht. (Mein Vater beispielsweise würde sicherlich Amazon, den Montblanc Shop und Barbie Girls NICHT als Teil der selben Umgebung wahrnehmen, obwohl alle drei in einem Webbrowser laufen.)
Über alle Websites hinweg gibt es heute eine wilde Vielfalt von Designelementen, Seitentypen, Technologien und Funktionalitäten. Alle basieren auf den technischen (Quasi-)Standards http, HTML, CSS, Dateiformaten wie GIF und JPEG, universellen Plugins wie Flash und QuickTime. Die Ergebnisse sind aber sehr, sehr unterschiedlich. Einen Teil der Elemente von einer Website auf eine andere zu transferieren, mag technisch möglich sein. Oft wird das aber nicht passen. Und manchmal macht es einfach keinen Sinn. Ein Warenkorb von Montblanc macht keinen Sinn bei Barbie World und ein Outfit von Barbie hat keinen Platz in meinem Amazon Account.
Ähnlich schwierig kann es sein, einen Avatar von City of Heroes (oder einen Figur aus einer Donald Duck Welt) nach WoW zu transferieren. Sie wären in der Zielumgebung Anachronismen. Noch schwieriger wird es mit Objekten. Ein Helicopter aus SL, ein Buggie aus There passt nicht zu anderen Welten (thematisch und funktional). Von den Problemen mit urheberrechtlich geschützen Objekten gar nicht zu reden. Hat hier jemand DRM gesagt?
Was will ich damit sagen? Einfach: Technische Machbarkeit ist nicht gleich praktischer Brauchbarkeit. Standardisierte Basis-Technologien sind nicht gleich "Unified Platform". Die Probleme der Interoperabilität können nicht die technische Maßnahmen (allein) gelöst werden.
Einfacher wäre das alles vielleicht, wenn jede virtuelle Welt eine Replik der realen sein möchte, mit photorealistischen Avataren, Kopien der Gebäude aus der realen Welt, realistischen Fahrzeugen, Wetter etc. Vielleicht gehen einige der Leute, die sich mit demm Thema Standardisierung heute beschäftigen, davon aus, dass das das Fernziel aller virtuellen Welten ist/sein sollte. Ich befürchte da steckt ein Denkfehler drin und der eine oder andere vergisst, dass der primäre Anwendungszweck von virtuellen Welten (oder der Web) die Unterhaltung ist.
Aber - damit keine Missverständnisse aufkommen - Ich stehe 100% hinter den Standardisierungsbemühungen and kann kaum abwarten, die ersten Resultate zu sehen. Ich befürchte nur, dass noch eine Menge (nicht-technischer) Probleme hinter der nächsten Kurve warten, bevor ich wirklich von einer virtuellen Welt zu nächsten schreiten kann und mehr als nur meinen Avatarnamen mitnehmen kann.
Bzgl. der technischen Herausforderungen sehe ich zwei Dinge, die hier zu meistern sind:
(1) Den technischen Standard für die Avatardaten, inkl. aller Attribute bzw. der dynamisch erweiterbaren Attribute, die von der jeweiligen Welt abhängig sind. Obschon es für sich dynamisch veränderbare Datenstrukturen bereits Konzepte gibt, ist mir kein Konzern bekannt, der diese Herausforderung erfolgreich für sein Business umgesetzt hat. Nehmen wir z.B. einen Telekommunikationsanbieter und die sich schnell ändernden Tarife von O2 über Vodafone, Base von E-Plus oder T-Mobile. Schaut man in die Praxis der Unternehmen hinein, so hat man es permanent mit "statischen" ERM-Modellen und herkömmlichen Plattformen zu tun, die trotz "Workaround-Konzepte" manuell angepasst werden müssen. Hier sind neue Konzepte wie z.B. Pile ( http://www.lawsofform.de/index.php/category/pilesystems/ ) erforderlich. Das sind Daten-Strukturen, die ihre Relationen automatisch und selbst erzeugen !
(2) Angenommen, wir haben die (1) Hürde geschafft! Dann ist da noch das Thema Single-Sign-On zu lösen. Viele reden heute in Konzernen darüber, Stichworte: X.500 und LDAP. MSN hats nicht geschaft, den global unique Account durchzusetzen. Alle Unternehmen, die ich bisher gesehen habe, die von sich stolz behaupten ein Single-Sign-On realisiert zu haben, haben in Wirklichkeit immer ein Reduced-Sign-On realisiert, nie aber wirklich ein SSO über mehrere hundert Anwendungen.
(1) und (2) sehe ich als eine der interessanten Herausforderungen, ebenso wie ein Open-Source-GRID, das es ermöglicht, SIMs wie Web-Server in eine 3D-Infrastruktur einzubinden !
Technologien wie PILE werden klassische Datenstrukturen und Datenbanken ablösen, zumindest ergänzen, an den Stellen, an dem sich ein System auf den schnellen Wandel seiner Umwelt ebenso schnell anpassen muss, um überlebensfähig zu bleiben.
Ich rechne hier ebenfalls mit einem Zeithorizont von 3 oder mehr Jahren!
Posted by: Patrick Wunderland | October 12, 2007 at 04:23 AM
Mein letzter Kommentar bezog sich auf die technische Interoperabilität.
Die Frage der "kulturellen" Interoperabilität - oder - die praktische Brauchbarkeit ist natürlich berechtigt.
Die Frage, die ich mir dabei gerade stelle, ist, ob dies mit dem Vergleichbar ist, was wir im "Real Life" bereits vollzogen haben. Durch das Reisen, Fliegen und das Entdecken anderer Kontinente sind wir ja auch in andere "kulturellen Kontexte" eingetaucht. Reibung und Konflikte sind dabei entstanden, aber es wurden auch Mehrwerte geschaffen. Interessant ist in diesem Zusammenhang natürlich auf der gesamte Globalisierungsprozess zu betrachten ... da wird es ja schon fast kybernetisch ...
Liebe Grüße aus Wiesbaden, Planet Earth, Real Life
Posted by: Patrick Wunderland | October 12, 2007 at 04:36 AM
Hey Markus - hast Du Beispiele für derartige VC-Investments?
Vgl.: http://www.sltalk.de/index.php/2007/10/11/ibm-und-linden-lab-rucken-naher-zusammen/
Cheers, Alex
Posted by: Alex808 | October 13, 2007 at 09:18 AM
Doppelganger hat 16 Millionen USD bekommen. Gaia 12, HiPiHi 7, Multiverse (kürzlich) 4, Electric Sheep (mehr als) 7, etc. etc. Insgesamt sind dieses Jahr sicherlich schon dreistellige Millionenbeträge in diesen Markt gegangen. Virtual World News sagt, es wäre eine Milliarde. Aber die schummeln ein bisschen ;)
Posted by: Markus Breuer (Pham Neutra) | October 13, 2007 at 09:11 PM
bleibt die frage, wieviel omnicom in millions of us gesteckt hat... ziemliche marktdynamik aktuell...
Posted by: Alex808 | October 15, 2007 at 06:19 AM