Nachdem ich in der letzten Woche noch einmal ein paar "Corporate Locations" in virtuellen Welten besucht habe, musste ich nich einmal an meine Präsentation zu "Usability in virtuellen Welten" auf der Metavers08 denken (Charts dazu hier; englisch) Ich hatte ja schon mal vor einem Jahr darüber geschrieben, aber seitdem hat sich die Situation nicht sehr verbessert: Usability ist immer noch ein Aspekt, der bei solchen Projekten nur eine sehr niedrige Priorität bekommt - wenn überhaupt jemand dran denkt. Das ist ganz ähnlich wie Mitte der 90er im Web: Entwickler sind so begeistert von den neuen Möglichkeiten und von spektakulärem Design, dass alles Andere dahinter zurück fällt.
Das war im Web nicht besonders hilfreich, sobald es darum ging, auch Geschäfte zu machen. Und das ist im virtuellen Raum nicht anders. Interessanterweise ist es aber gar nicht sooo schwierig, es "besser zu machen". Die Erfahrungen aus rund 25 Jahren Software-Ergonomie (und rund 12 Jahren Webdesign) zeigen, wie es geht ...
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Wenn ich von den Usability-Problemen virtueller Welten rede, meine ich damit nicht in erster Linie die Plattformen für virtuelle Welten. Zugegeben, speziell Second Life ist und bleibt ein Usability-Albtraum. Das Erlebnis für neue Anwender ist so "gut durchdacht" dass die meisten davon, die guten Willens sind, dieses "neue Ding mal auszuprobieren", schreiend davonlaufen - oder zumindest kopfschüttelnd. Linden Lab, Betreiberfirma hinter Second Life, scheint das nun auch eingesehen zu haben. Zwar ist noch nicht öffentlich, was genau verbessert werden soll aber es mehrere Ankündigungen, dass die Benutzerfreundlichkeit von Second Life ganz oben auf die Agenda gewandert ist. Andere virtuelle Welten sind schon benutzerfreundlicher - manchmal auch, weil sie deutlich simpler und damit weniger komplex sind. Die kleinen "3D Wordlets", die man in Webseiten einbinden kann sind zum Beispiel so überschaubar und beschränkt in den Möglichkeiten, dass hier nicht so viele Kenntnisse gebraucht werden. Die Lernkurve ist flach und kurz.
Usability ist gut fürs Geschäft
In manchen Fällen sind auch die größeren virtuellen Welten deutlich benutzerfreundlicher als Second Life (There und Kaneva zum Beispiel, die Kids Worlds sowieso), weil die Entwickler von vornherein großen Wert auf einen einfachen Einstieg gelegt haben. Das hat nichts mit Altruismus zu tun, sondern eher mit Geldgier: wenn man ein Geschäft mit/in virtuellen Welten aufbauen möchte, ist es nicht sinnvoll den (potentiellen) Kunden das Leben unnötig schwer zu machen.
Diese Erkenntnis ist zu vielen anderen Firmen, die "das Potential virtueller Welten testen" wollen, noch nicht durchgedrungen. Es ist hier nach wie vor nicht unüblich, am Eingang einer Firmenpräsenz aufzutauchen und nirgends klare Infos zu bekommen, was einen hier erwartet - und wo. Und viele virtuellen Gebäude sind offensichtlich nicht "für Avatare gebaut" (Avatare bewegen sich anders als Menschen und sehen auch anders!). Das Beispiel hier rechts ist übrigens aus einer frühen Phase eines unserer eigenen Projekte.
Das sind Mängel, die es nicht nur in Second Life gibt. (Sie haben nichts mit den grundsätzliche Schwächen von Second Life zu tun.) Und sie könen auch nicht einfach mit "Wir wollen ja nur die Potentiale virtueller Welten für Marketing, Vertrieb, Schulung, Kollaboration erkunden" entschuldigt werden. Einfach deshalb, weil schlechte Usability es eigentlich unmöglich macht, die "Tauglichkeit virtueller Welten für eine bestimmte Anwendung objektiv zu bewerten.
Wie oben schon einmal erwähnt, als das Web jung war, achtete auch niemand auf Usability. Wer will, mag sich einfach einmal Bilder der frühen Versionen auch sehr bekannter Websites ansehen. :) Einige davon waren das pure Konfetti. Entwickler und Designer hatten ja auch so viel neues Spielzeug. Über die Jahre hinweg wurden diese Sites aber immer besser, als Entwickler und Designer langsam lernten, wie man das Web mehr "usable" (eben benutzerfreundlich) macht - und als das Management einsah, dass das auch kaufmännisch Sinn macht.
Kann man denn diese Usability-Regeln in einer virtuellen Welt überhaupt anwenden?
Ja! Einige Faustregeln für gutes Web-Design passen natürlich nicht in virtuelle Welten. Klar, denn eine virtuelle Welt ist ja - glücklicherweise - kein Netz von zweidimensionalen Seiten aus Text und Bildern. Die Grundprinzipien hinter den Faustregeln gelten aber genauso. Ein gutes Beispiel dafür sind die Grundffragen zur Orientierung, die dem Anwender in jeder Situation beantwortet werden sollten:
• Wo bin ich?
• Was kann ich hier machen?
• Wo kann ich von hier aus hingehen?
• Wo komme ich her?(Und wie komme ich zurück?)
Es gibt natürlich noch viel mehr solcher Prinzipien im Bereich der Usability (oder "Software Ergonomie"). Für die aktuelle Arbeit auf diesem Feld sind jedoch nicht die "in Stein gehauenen Prinzipien" am wichtigsten. Es gibt einen viel besseren Weg, sicher zu stellen, dass die Anwender eine Anwendung (oder eine Location in einer virtuellen Welt) "verstehen": man beteiligt sie einfach von Anfang an am Design-Prozeß!
Sich einfach von den Anwendern helfen lessen!
Genau das ist prinzipiell die Idee hinter "User Centered Design" (mehr dazu hier). Und dieses Prinip kann natürlich problemlos auf Projekte in virtuellen Welten angewandt werden: Die wesentlichen Aspekte dabei sind (und UCD Experten und Praktiker mögen mir bitte ob der starken Vereinfachung verzeihen):
• Reden Sie mit Ihren (künftigen) Anwendern, bevor die Arbeiten (und das Design) beginnen
• Schreiben Sie ein "mentales Modell", das beschreibt, wie ein Anwender typischerweise an die Aufgaben herangeht, die im Rahmen des Projekts gelöst werden können
• Schreiben Sie Charakterisierungen konkreter Personen, die Sie sich als prototypische Anwender vorstellen, und zwar als echte Menschen (Personas) nicht als soziodemografische Cluster.
• Erstellen Sie immer wieder kleine Prototypen und lassen Sie diese von echten Anwendern testen
• Beobachten Sie die Anwender bei diesen Tests
• Analysieren Sie die Schwierigkeiten, die Anwender bei diesen Tests haben und verbessern Sie die Prototypen it (es ist NIE die "Dummheit" der Anwender, die das Problem darstellt)
• Machen Sie das wieder und wieder (Nicht erst, wenn das Projekt fertiggestellt ist)
Nein, diese Vorgehensweise kostet keine Unsummen. Man kann sie in unterschiedlichen Maßstäben bei nahezu jedem Projekt anwenden. Der Verzicht auf Usability-Optimierung ist teuer - weil man damit Geld zum Fenster rauswirft für Projekte, die weit bessere Resultate liefern könnten.
Ein kleines Beispiel dazu: als ich noch bei meiner alten Firma Elephant Seven war, habe ich ein Team aufgebaut, das sich auf Usability und vor allem "User Centered Design" spezialisierte. In einem der ersten Projekte ging es um die Optimierung einer Anwendung auf einer Versicherungs-Website. Die erzielten Verbesserungen waren so deutlich, dass das Call Center des Kunden 30% weniger Anrufe bekam - weil die Kunden einfach weniger Schwierigkeiten hatten. Das allein führte dazu, dass sich das Projekt in nicht einmal 6 Monaten bezahlbar machte. Und wir sprechen nicht einmal über die zusätzlichen Aufträge, die zustande kamen, weil Interessenten nicht mehr verärgert absprangen, ohne anzurufen.
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